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Neurowissenschaften

Vom Protein, das den Muskeln auf den Nerv geht

Basler Forscher klärten auf, wie Nerven die Muskeln rumkommandieren

Wie Nervenzellen im Gehirn sich zu Netzwerken zusammenschliessen, ist immer noch ein weitgehend ungeklärtes Geheimnis. Basler Neurowissenschaftler haben nun an der Schaltzelle zwischen Nerv und Muskel einen Mechanismus aufgeklärt, der ähnlich so auch im Gehirn ablaufen könnte. 100 Milliarden Nervenzellen sind ins menschliche Gehirn gepackt. Und jedes Neuron kann mit seinen Zellfortsätzen (Neuriten) via Schaltstellen mit bis zu 100 000 Nachbarn kommunizieren. Erst dieses komplexe Netzwerk macht unser Gehirn zu dem, was es ist: zum leistungsfähigsten Datenverarbeitungszentrum unter der Sonne.

Ohne Antennen geht nichts

Synapsen nennt man diese Schaltstellen, die als knopfförmige Gebilde an den Neuriten wachsen. Hier wird der elektrische Nervenimpuls durch Ausschüttung von Botenstoffen in ein chemisches Signal umgewandelt, das von den Antennen (Rezeptoren) der nachgeschalteten Zelle verstanden wird. Ist am Ausgang des Schalters auch wieder ein Nervenfortsatz angehängt, geht die Signalleitung auf elektrischem Weg weiter. Sitzt die Synapse jedoch auf einer Muskelfaser, so tut Letztere, was sie am besten kann: Sie zieht sich bei Kontakt mit dem Botenstoff zusammen.

Das Muskel-Modell

Doch wie wird die Bildung dieser alles bestimmenden Synapsen gesteuert? Wüsste man die Antwort auf diese Frage, man wäre im Verständnis, wie das Gehirn funktioniert, einiges weiter. Die Synapsenentstehung im Gehirn zu studieren, ist allerdings ein äusserst schwieriges Unterfangen. Zu viele Schaltstellen mit zu unterschiedlichen Botenstoffen liegen dort auf engstem Raum zusammen, um klar definierte Experimente durchführen zu können.

Relativ übersichtlich ist die Situation dagegen an den Verbindungsstellen zwischen Nerven- und Muskelzellen. Dort diktiert nur ein Botenstoff mit seinen zugehörigen Synapsen das Geschehen: Acetylcholin.

Wie kommt es nun dazu, dass die Muskelfaser ihre Antennen exakt in Reichweite der befehlsgebenden Nervenfortsätze wachsen lässt? Das muss sie ja, damit sie das Botenstoff-Signal aus den Neuriten überhaupt empfangen kann. Neuroforscher in aller Welt verwenden seit Jahren die Nerv/Muskel-Schaltzelle für ihre Untersuchungen, wie Synapsen generell entstehen. Sie alle waren auf Grund von Studien an Muskelzellkulturen davon ausgegangen, dass hiefür das Zusammenwirken der beiden Proteine Agrin und Neuregulin nötig ist; beide werden von den Nervenzellen abgesondert. Neuregulin schaltet in der Muskelfaser die Gene für die Botenstoff-Rezeptoren an, und Agrin soll die Rezeptoren in die Zellmembran einbauen. So steht es nun in den Lehrbüchern.

Trügerische Zellkulturen

Die Nerv/Muskel-Synapse war die einzige, für die dieses Problem gelöst schien, analoge Mechanismen wurden auch bei der Synapsenbildung im Gehirn vermutet. Zumindest bis zur neuesten Publikation eines Basler Forscherteams in der jüngsten Ausgabe von «Science». Hans-Rudolf Brenner und sein Kollege Pascal Escher vom Physiologischen Institut der Universität Basel gelang der Nachweis, dass Neuregulin die ihm zugeschriebene Funktion nicht hat. «Wir habens schon aufgrund früherer Experimente vermutet und können es jetzt eindeutig beweisen: Agrin allein kann den Job erledigen», sagt Brenner im Gespräch mit der BaZ, und: «Die Lehrbücher müssen nun umgeschrieben werden.» Den Beweis dafür ist das Basler Team angetreten, indem es Mäuse züchtete, bei denen die Gene für die Ausbildung von Neuregulin-Rezeptoren in den Muskelfasern ausgeschaltet wurden. Dabei zeigte sich, dass die Schaltstelle Neuron/Muskelfaser trotz dieses Mankos bestens funktionierte und die Genmäuse ein normales Leben führten. Wäre die Präsenz von Neuregulin tatsächlich unabdinglich für die Befehlsübertragung Nerv/Muskel, hätten die genveränderten Mäuseembryonen keine Überlebenschance gehabt.

Dank Gen-Mäusen

«Unsere Arbeit zeigt einmal mehr, dass Studien an Zellkulturen zwar zu plausiblen Hypothesen, aber auch in die Irre führen können. Um gesicherte Resultate zu erhalten, kann ab einem bestimmten Punkt auf Versuche mit gentechnisch veränderten Tieren nicht verzichtet werden», meint Hans-Rudolf Brenner.

«Durchaus denkbar»

Und jetzt? Ist mit der Arbeit des Basler Teams tatsächlich auch ein Stück weit die Nerv-zu-Nerv-Vernetzung im Gehirn geklärt, wie «Science» in seiner Medienmitteilung spekuliert? Hans-Rudolf Brenner winkt ab. «Es gibt zwar tatsächlich Agrin auch im Gehirn. Aber welche Funktion es dort hat, ist noch nicht klar.» Doch seien im Gehirn «ähnliche Signalwege wie im Muskel durchaus denkbar».

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