Der diesjährige Chemie-Nobelpreisträger Gerhard Ertl hat die Geheimnisse der Oberflächenchemie gelüftet. Was genau geht in einem Auto-Katalysator vor? Und wie funktioniert das chemische Verfahren, mit dem aus Luft-Stickstoff Kunstdünger hergestellt wird? Der deutsche Chemiker Gerhard Ertl hat die Antworten gefunden auf diese Fragen – und ist dafür mit dem diesjährigen Nobelpreis für Chemie belohnt worden.
Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte Gerhard Ertl sich nicht wünschen können. Exakt an seinem 71. Geburtstag wurde der deutsche Chemiker mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, der begehrtesten Trophäe, welche die Wissenschaftsgemeinde zu vergeben hat. «Ich wusste zwar, dass ich in der engeren Wahl stand», erklärte der bis zu seiner Emeritierung am Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft tätige Preisträger gegenüber den Medien. «Aber dieser engere Kreis war natürlich auch nicht gerade klein.» Die Freude ist daher gross in der Familie Ertl, und auch die Kollegen im Institut feiern kräftig mit. «Ich finde das eine sehr gute Wahl», sagt auch der Basler Chemieprofessor Andreas Pfaltz, der in weiterem Sinn auf ähnlichen Gebieten forscht wie der Geehrte. Bemerkenswert findet Pfaltz die Tatsache, dass Ertl den Preis nicht mit amerikanischen Kollegen teilen muss, die ähnliche Forschungsfragen bearbeitet haben. In der Vergangenheit gingen die USA ja kaum je leer aus bei der Preis-Vergabe. Dieses Jahr jedoch bleiben die Nobelpreise für Physik und Chemie beide in den Händen von Europäern.
Ausgezeichnet wurde Gerhard Ertl «für seine Studien von chemischen Verfahren auf festen Oberflächen», die er in den vergangenen 45 Jahren vorangetrieben hatte. Dies bedarf vielleicht einer Erklärung: In der Erinnerung an den Chemieunterricht ist vielen – wenn überhaupt – vielleicht noch das Reagenzglas haften geblieben, dessen Inhalt sich nach Zugabe eines Reaktionspartners auf mirakulöse Weise verfärbte oder in schöne Kristalle verwandelte. Auch der Knall, mit dem sich die beiden Gase Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser vereinigen, bleibt wohl unvergesslich.
Chemische Reaktionen laufen aber nicht bloss in flüssigem oder gasförmigem Medium ab, sondern auch an festen Oberflächen. Dieser chemische Reaktionstyp spielt eine wichtige Rolle in unserem Alltag, er läuft etwa ab im Autokatalysator, der giftiges Kohlenmonoxid, Stickoxide und unverbrannte Treibstoffreste in relativ harmloses Kohlendioxid, Stickstoff und Wasser umwandelt. Als für die Ernährung der Menschheit unverzichtbar hat sich auch der Katalyse-Prozess erwiesen, mit dem an der Oberfläche von Eisen aus Luftstickstoff und Wasserstoff Ammoniak gebildet wird, das so genannte Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Kunstdünger Und auch wenn die schützende Ozonschicht durch mit Fluorkohlenwasserstoffen verseuchte Eiskristalle angegriffen wird oder wenn Eisen rostet, so sind dies oberflächenchemische Vorgänge. Diese lassen sich – im Vergleich zur Chemie in flüssiger oder Gas-Phase –nur mit grossem technischem Aufwand erforschen.
Das Verdienst des Geehrten ist es, dass er neue technische Verfahren und Untersuchungsmethoden laufend modifizierte, um damit aufzuzeigen, wie chemische Reaktionen an Oberflächen ablaufen. Dies ist nicht einfach, weil es einerseits absolut saubere Oberflächen unter normalen Bedingungen praktisch nicht gibt und bereits Luftmoleküle eine Verunreinigung darstellen, die das Analyseresultat verfälschen können. Hier konnte Gerhard Ertl Hochvakuum-Techniken abwandeln und verwenden, wie sie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zur Herstellung hochreiner Halbleiter-Elemente entwickelt wurden.
Viel Zeit und Mühe verwandte der frischgebackene Nobelpreisträger darauf, den chemischen Mechanismus des Haber-Bosch-Verfahrens aufzuklären. Der deutsche Chemiker Fritz Haber hatte schon 1918 den Nobelpreis erhalten «für die Synthese von Ammoniak aus seinen Elementen», den wichtigsten Schritt bei der Kunstdüngerproduktion. Und auch von Anfang an hatte man im Haber-Bosch-Verfahren – neben hohem Druck – Eisen und Kalium als Katalysatoren verwendet, um die knifflige Reaktion in Gang zu bringen. Aber es war Gerhard Ertl, dem zeitweiligen Leiter des nach seinem Vordenker benannten Fritz-Haber-Instituts, vorbehalten, uns zu erklären, wie das genau funktioniert. Mit der erarbeiteten Methodik hofft der Geehrte jetzt auch, das Verhalten von Wasserstoff an Metalloberflächen zu studieren. Ein lohnendes Studienobjekt jetzt, wo die Industriegesellschaft vielleicht bald auf Wasserstoff als Energieträger angewiesen sein wird.