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Energiepolitik/-technik

Vom Ausstieg aus dem Ausstieg

Die lange totgesagte Nutzung

Unser Nachbar im Norden macht es vor, wie man den Ausstieg aus der Atomenergie feiern und gleichzeitig wieder einsteigen kann. Und steht damit nicht alleine da. Denn die lange totgesagte Nutzung der Kernenergie macht seit Jahren wieder Boden gut. Weltweit und auch bei uns. Basel von ferne beheizt mit der Abwärme aus «Kaiseraugst», Autos, die sich mit sauberem, im AKW gewonnenen Wasserstoff fortbewegen, die Schweiz von Rüthi im Rheintal übers bernische Graben bis Versoix bei Genf ein einziger Kernkraftwerk-Park: Das waren die Visionen, die vor 30 Jahren die Schweizer Energiepolitik beschwingten. So wollte die Elektrizitätswirtschaft den Sprung schaffen von der Wasser- zur (damals noch als sauber geltenden) Kernkraftnutzung. Aber dann kam alles anders. Als Erstes holte der Reaktorunfall von Harrisburg 1979 die hochtrabenden Pläne auf den Boden zurück. Und sieben Jahre danach machte die Katastrophe von Tschernobyl weltweit sämtliche AKW-Projekte zu Makulatur. Darunter auch «Kaiseraugst», das dann (übrigens unter tatkräftiger Mithilfe von Christoph Blocher) 1988 aufgegeben wurde.Lange hat sich die Atomwirtschaft von diesem Schlag nicht erholt. Atomreaktoren waren über Nacht zur unverkäuflichen Ware geworden. Angst vor weiteren Atomkatastrophen, das zumindest auf politischer Ebene ungelöste Abfallproblem und die Furcht, spaltbares Material könnte in unbefugte Hände geraten, machten die Atomkraft zum Un-Wort. Politiker, die in Wahlperioden denken, liessen das Thema fallen wie eine heisse Kartoffel, und Investoren, deren Erwartungshorizont in der Zwischenzeit auf drei Monate geschrumpft war, taten und tun sich schwer, ihr Geld in eine zugegebenermassen teure Technologie zu stecken, die allenfalls unter optimalen Bedingungen Gewinn erwirtschaftet. Doch diese Bedingungen sind seit langer Zeit nicht rosig. Der Ausstieg aus der Atomenergie wurde zum politischen Erfolgsrezept, zuerst in Schweden, Deutschland und dann auch in Belgien, obwohl dessen Strom zu 60 Prozent mittels Atomspaltung gewonnen wird. Auch hierzulande lähmte der Atomstreit über Jahrzehnte die Energiepolitik, und wenn jetzt auch Ausstiegs- und Moratoriums-Szenarien seit der Abstimmung vom vergangenen Mai für absehbare Zeit vom Tisch sind, herrscht doch immer noch Denkpause – oder Pause im Denken, wie böse Mäuler behaupten.

Und jetzt läutet also Deutschland mit der Abschaltung von «Stade» tatsächlich seinen Ausstieg aus der Kernenergie ein. Oder etwa doch nicht? Dass gleichzeitig laut darüber nachgedacht wird, zusammen mit Frankreich den neuen Europa-Reaktor zu bauen, müsste eigentlich bei den Atomkraftgegnern alle Alarmglocken schrillen lassen. Umso mehr, als die Taktik längst Schule gemacht hat, zwar von Ausstieg zu reden, in Wahrheit aber Atomkraft weiter zu nutzen, und seis bloss über Importe.

Beim Vorreiter Schweden beispielsweise ist der Ausstiegstermin 2010 längst kein Thema mehr. Zwar wurde bis jetzt ein Reaktorblock stillgelegt. Damit hat es sich aber, weil weit und breit keine Alternative in Sicht ist – ausser den Kohlestrom-Importen aus Dänemark. Belgien sodann, das sich ebenfalls den Ausstieg auf die Fahnen geschrieben hatte, sieht sich vor demselben Dilemma. Kommt dazu, dass die Regierung in Brüssel jetzt, nachdem die Grünen in den Wahlen vom vergangenen Frühsommer eine Schlappe gezogen haben, andere Prioritäten setzt. Zu erwähnen ist schliesslich Finnland, das vergangenes Jahr den Bau eines fünften Reaktors (voraussichtlich vom «Eurotyp») beschlossen hat – zusammen mit einem Endlager für hochaktive Abfälle.

Ausstieg global kein Thema

Dass der Ausstieg aus der Kernenergie auch global kein Thema ist, lässt sich in den Statistiken nachlesen. Zwar wurden seit den 50er Jahren 130 meist kleinere Meiler stillgelegt – aber in aller Regel ersetzt durch grössere Anlagen. Somit wird heute mehr Atomstrom produziert denn je: 446 A-Werke von durchschnittlicher «Gösgen»-Grösse liefern heute 17 Prozent des Welt-Elektrizitätsbedarfs. Auch im vergangenen Jahr war die Bilanz wiederum positiv: Um fünf Gross-Einheiten wuchs der Kraftwerkpark unter dem Strich.

Denkpause beenden

Bleibt die Frage, was aus all dem zu schliessen ist für die Schweizer Energiepolitik. Die andauernde Denkpause könnte bald einmal unangenehme Folgen haben, neue Sachzwänge nach sich ziehen. Denn im Jahr 2019 geht voraussichtlich der erste Beznau-Block vom Netz, auch «Mühleberg» wird nicht viel länger produzieren. Spätestens dann muss in irgendeiner Form Ersatz verfügbar sein. Idealisten werden wie in den vergangenen 30 Jahren aufs grosse Potenzial von Sparmassnahmen und Alternativenergien verweisen. Und selbstverständlich könnte man sich noch enger ans Atomstromland Frankreich anbinden, das wäre politisch am bequemsten und ökonomisch vielleicht gar nicht unklug. Andererseits hat gerade kürzlich der Blackout in Italien gezeigt, wohin es führt, wenn man sich allzu sehr auf Stromtransporte über grosse Distanzen verlässt. Ein gewisser Selbstversorgungsgrad ist also erwünscht.

Wenn also tatsächlich die «nukleare Option offen gehalten werden» soll, wie vorab Wirtschaftskreise immer wieder beschwören, müssten aber bereits im kommenden Jahr Grundsatzentscheide fallen. Denn mindestens 15 Jahre Vorlaufzeit brauchts, um «Beznau» – wie auch immer – neu zu bauen, das dazu notwendige Know-how wieder zu erwerben, den Marathon durch die Instanzen zu meistern. Wenn dies nicht seriös angegangen wird, steigt die Schweiz tatsächlich gescheiter jetzt gleich aus – etwa so wie Deutschland.

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