Leben wie Gott am Neuenburgersee
Schon den Pfahlbauern gefiel es hier, den Römern diente er als wichtige Verkehrsverbindung, und heute ist der Neuenburgersee ein Dorado für Wassersportler aller Disziplinen, ein bei Jung und Alt beliebtes Ferienziel. Die Reise war lang und beschwerlich, mit dem Auto, drei Kindern und einer Katze bis zum kleinen Häuschen an Dänemarks Küste. Die Kids kletterten aus dem Kombi, schauten sich kurz um – und «fast so schön wie in Portalban» lautete der Kommentar. Für die nächsten 25 Jahre war der Fall dann klar und der August jeweils am Neuenburgersee gebucht.
Sie haben wirklich etwas an sich, die Landschaften am Südufer des grössten Schweizer Sees. Weder der Autobahnbau Bern-Yverdon noch der Expo-Rummel haben die Region merklich in Mitleidenschaft gezogen. Und so kommt es, dass eineinhalb Autofahrstunden von Basel entfernt gegenüber der Stadt Neuenburg noch beinahe intaktes Landleben zu bestaunen ist, inklusive schwarz/weissen Fribourger Kühen, Zuckerrübenfeldern, Rebbergen – und Tabakpflanzungen. Idyllisch natürlich der See. Weite Uferstriche sehen noch so aus, wie sie die Pfahlbauer angetroffen haben könnten. Die Dörfer und das eine mittelalterliche Städtchen – Estavayer Le Lac – wurden aus Respekt vor dem tückischen See – der Pegel schwankte vor den beiden Juragewässerkorrektionen um drei Meter – in sicherer Distanz zum Wasser gebaut. An den neuen Ufern herrscht Bauverbot – im Prinzip. Ausser den paar Häfen und Campingplätzen, die dem Grossteil der Touristen als Unterkunft genügen müssen, regiert Natur pur, Hotelkästen drängen sich keine ins Bild. So kommt es, dass Ferien zwischen La Sauge und Yvonand immer noch ein Geheimtipp sind, eigentlich sollte ich nicht darüber schreiben, damit es möglichst so bleibt. Man könnte natürlich auch ins Tessin an den Lago Maggiore in die Ferien verreisen. Doch gibt’s dort noch ausgedehnte Schilfgürtel, in denen die Hechte im knietiefen Wasser stehen, wo mehr Egli rumschwimmen, als in einer Saison verzehrt werden können, alle Wasservögel Europas irgendmal im Jahr Station machen und die Frösche um die Wette quaken, als ob eine Prinzessin zu gewinnen wär?
Im Tessin gibt’s zwar vielleicht mehr Sonnenschein, dafür findet am Neuenburgersee richtiges Wetter statt. Unheimlich faszinierend, wenn sich in den Jurahöhen Gewitterwolken zusammenbrauen und man nie weiss, ob der Joran nun loslegen wird oder nicht, der gefürchtete Fallwind, der den See innert Minuten in einen Hexenkessel verwandelt. Oder welch Schauspiel, wenn die angekündigte Störung aus Frankreich über Yverdon Anlauf nimmt, wie eine schwarze Walze den See runter rollt und den Tag in Dämmerung legt. Ist der Spuk dann vorüber, darf die Bise den Himmel sauber putzen, der Lieblingswind der Segler. Von denen gibt’s allerdings eine ganze Menge auf dem See. Mehrere tausend Bootsbesitzer – darunter viele aus der Region Basel – haben in einem der sieben Sportboothäfen des Südufers festgemacht. Doch da selbst in der Hochsaison nur ein Bruchteil der Boote ausläuft, herrscht kaum je Gedränge auf dem Wasser. Daneben lädt der See natürlich zum Baden, Paddeln und Tauchen, und wer nichts am Hut hat mit Wassersport, kann die Landschaft auf den Uferwegen zu Fuss oder vom Velosattel herab geniessen.
Selbst wenn das Wetter mal länger als ein paar Stunden verrückt spielt, muss man nicht gleich die Koffer packen, die nähere und weitere Umgebung bietet auch tolles Schlechtwetterprogramm. Das bereits erwähnte Städtchen Estavayer ist eine Reise wert, es hat seinen mittelalterlichen Charme trotz einiger Bausünden in die Neuzeit retten können. Hier sollte man das Frösche-Museum nicht verpassen und sich den Gaumen in der «Gerbe d’Or» verwöhnen lassen. Payerne, ein bisschen landeinwärts ist berühmt für seine romanische Kathedrale, in Avenche (Aventicum – ja die alten Römer waren auch schon da) ist ein Amphitheater zu bewundern, in dem auch dieses Jahr vom 7. bis 22. Juli Opern gegeben werden. Und wenn alle Stricke reissen: Murten liegt gleich um die Ecke, Bern eine halbe Autostunde entfernt.
Noch viele Geschichten wären zu erzählen. Etwa von den Keramikscherben aus der Neusteinzeit, die man beim Schnorcheln finden kann. Vom rekonstruierten Pfahlbaudorf in Gletterens, das anschaulich zeigt wie unsere Vorfahren gelebt haben könnten. Vom Weiler Forel, wo die Schweizer Luftwaffe – zum Glück nur ausserhalb der Feriensaison – den bösen Feind auf Attrappen im See zu beschiessen pflegt. Vom Raddampfer «Fribourg», der seit 40 Jahren zum Restaurant umgebaut in Portalban auf dem Trockenen liegt (Spezialität: Hecht in Kräutern gebacken und Egli, die garantiert mal im Neuenburgersee schwammen, schwört die Wirtin Elena bei allem, was ihr heilig ist). Oder vom Mont Vully wäre zu berichten, dem von Gletschern aufgeschütteten Hügel zwischen Neuenburger- und Murtensee. Der war schon vor 6000 Jahren besiedelt, dort hatten sich einst die Kelten verschanzt, wo heute die besten Weine der Region an den sonnigen Hängen wachsen. Gehen Sie hin und probieren Sie selber.