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Medizin

HIV/Aids: Aids-Impfstoff – weshalb es so lange dauert

Die Pandemie Aids kann nur mit weltweiten Impfkampagnen gestoppt werden

Darin sind sich Forscher und Gesundheitspolitiker einig. Doch wie das Ziel erreicht werden könnte, ist mehr als 20 Jahre, nachdem das HI-Virus als Verursacher der Immunschwächekrankheit beim Menschen identifiziert wurde, immer noch nicht klar. «Innert zweier Jahre wird es einen Impfstoff gegen Aids geben», hatte 1984 die damalige US-Gesundheitsministerin Margaret M. Heckler prophezeit. Und ist damit – leider – ins Unrecht versetzt worden. Zwar kennt man heute 30 Substanzen, die in Kleinversuchen einen gewissen Effekt gezeigt haben. Mit einem Impfstoff der Firma VaxGen wurden sogar in den USA und Thailand Tests mit Tausenden Probanden durchgeführt. Und damit immerhin bewiesen, dass solch gross angelegte Versuchsreihen im Prinzip logistisch durchführbar sind und die Testpersonen bei der Stange bleiben. Das war aber auch schon alles, denn Schutz vor dem HIV konnte der Impfstoff-Kandidat nicht bieten.

Neben den wissenschaftlichen Hürden behindern zwei weitere Faktoren die Suche nach einem effizienten HIV-Impfstoff: Geldmangel und organisatorische Probleme. An Koordinationsbedarf scheint es tatsächlich nicht zu mangeln. «Es ist wichtig, dass die Forscher ihre Anstrengungen weltweit koordinieren, dass wir alle nach denselben Kriterien vorgehen und dasselbe messen, sonst kann man die Ergebnisse nicht miteinander vergleichen», mahnte etwa Anthony Fauci, unter anderem US-Präsidentenberater in Aids-Fragen, vergangenen September an der «Aids Vaccine04» Konferenz in Lausanne. Dort hatten sich 800 Wissenschaftler aus aller Welt eingefunden, um das weitere Vorgehen zu diskutieren.

Einig war man sich, dass der ideale Impfstoff gegen das HIV in einem Antikörper bestünde, der den Erreger gleich beim Eintritt in den Körper ausser Gefecht setzt. Impfstoffe gegen Kinderlähmung, Masern und Starrkrampf beispielsweise funktionieren nach diesem Prinzip. Dieses ist jedoch gegen das HIV wirkungslos, weil sich das Virus gleich nach der Infektion in seinen Wirtszellen, etwa den CD4-Helferzellen, vor den Antikörpern versteckt. Eine zweite Impfstrategie versucht daher, zelluläre Immunität zu erreichen, indem entweder Wirtszellen vor dem Befall durch das HIV geschützt werden oder mindestens dafür gesorgt wird, dass die Produktion von T-Killerzellen angekurbelt wird, welche die befallenen Zellen kurzerhand liquidieren.

Der Schweizer Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel hat im laufenden Jahr mehrfach darauf hingewiesen, dass es bis jetzt noch nie gelungen ist, Menschen durch Auslösung einer solchen zellulären Immunität vor Infektion zu schützen, sondern dass es dazu (wie in den Beispielen von Kinderlähmung, Masern und Starrkrampf) in der Vergangenheit immer eine Antikörper-Reaktion brauchte. Er zweifelt daher auch, ob der bisher verfolgte Weg zu einem funktionierenden Aids-Impfstoff führt.

Tatsächlich versuchen alle bis jetzt zur Verfügung stehenden 30 Impfstoffkandidaten, über die Auslösung zellulärer Immunität zum Ziel zu kommen – auch die Substanz NYVAC-HIV C, die der Lausanner Immunologe Giuseppe Pantaleo dieses Jahr an 24 Freiwilligen getestet hat. Insofern mit positivem Resultat, als bei rund der Hälfte der Probanden die Produktion der Killerzellen angeregt wurde. Zumindest ein Teilerfolg.

«Natürlich wäre es toll, wir hätten einen effizienten HIV-vernichtenden Antikörper zur Hand», meinte Lawrence Corey vom amerikanischen HIV-Impfnetzwerk an der Lausanner Konferenz vor den Medien. «Das heisst aber nicht, dass wir warten können mit der Impfstoff-Testung, bis wir eine solche Substanz tatsächlich besitzen. Wir sind schon froh, wenn wir einen Impfstoff finden, der die Folgen der Infektion abfedert, das Ausbrechen der Immunschwächekrankheit hinauszögert.»

Gegenwärtig sind die Forscher in aller Welt erst einmal damit beschäftigt, sich auf die Messtechniken zu einigen, mit denen solche Teilerfolge definiert werden, «damit wir beim Datenaustausch von Paris bis Seattle wissen, wovon wir reden». Ganz oben steht selbstredend die Sicherheit, man darf die Gesundheit der freiwilligen Testpersonen nicht riskieren. Deshalb können keine abgeschwächten oder abgetöteten HI-Viren in den Impfcocktail gemischt werden «obwohl etwa bei Affen damit eine viel stärkere Immunantwort provoziert werden kann als mit synthetisch hergestellten Stoffen.

Ist einmal erwiesen, dass ein Impfstoffkandidat sicher ist und erst noch bei der Mehrzahl der Probanden eine Immunantwort hervorruft, kann die Phase III beginnen, um die vorläufigen Resultate dann an Tausenden Testpersonen zu überprüfen. Das Gerangel ist vorprogrammiert, ganz einfach, weil es nicht einfach ist, die nötige Anzahl Freiwillige zu rekrutieren. «Da müssen wir uns auf einige wenige Impfstoffkandidaten konzentrieren», meint auch Giuseppe Pantaleo.

In dieser Phase stellen sich dann auch ethische Probleme. Sinnvoll ist, die Impfstoffkandidaten dort zu testen, wo das fertige Produkt im Erfolgsfall auch angewendet würde, in Drittweltländern. Doch was wird vorgekehrt, um den Vorwurf der Ausbeutung gleich schon an der Wurzel zu entkräften? «Selbstverständlich erhalten die Menschen dort im Gegenzug die bestmögliche Betreuung und Behandlung, falls sie erkranken», versicherte Gary Nabel vom amerikanischen Gesundheitsinstitut am Mediengespräch in Lausanne.

Dabei ergibt sich ein gewisser Zielkonflikt: Ein Teil der Probanden wird den Impfstoff erhalten, die andere Hälfte bloss ein PlaceboPräparat. Danach wartet man mindestens vier Jahre ab und schaut, was passiert. Da aber die Präventionskampagnen weiter geführt werden (alles andere wäre zynisch), lässt sich ein allfälliger Erfolg des Impfstoffes weniger klar erkennen. «Ich weiss, wir arbeiten in gewissem Sinn gegen unsere Interessen, wenn wir auch die Impfstoff-Probanden anhalten, sich vor Ansteckung zu schützen», räumt Gary Nabel ein. Andererseits sei es eine leidige Tatsache, dass die Schutzempfehlungen zu wenig befolgt werden. «Sonst würden wir ja auch keinen Impfstoff benötigen». Womit Gary Nabel auch wieder Recht hat.

Finanzierung

Gerade mal 650 Millionen Dollar war der Weltgemeinschaft im Jahr 2002 die Aids-Impfstoff-Forschung wert, knapp ein Prozent der Summe, die für Forschung und Entwicklung auf dem Pharmasektor ausgegeben wird. Die Gelder stammten zum grössten Teil von Stiftungen und aus dem öffentlichen Sektor, den Löwenanteil trugen mit 382 Millionen Dollar die USA – im laufenden Jahr werden es 488 Millionen sein. Die Pharmaindustrie hält sich mit Ausnahmen (Aventis, Chiron, Glaxo und Merck) eher zurück, sie finanzierten 2002 nur 15 Prozent der Impfstoff-Forschung. Dass sich die Industrie nicht eifriger engagiert ist leicht erklärbar: Die Aufgabe ist schwierig und verschlingt viel Geld, das selbst im Erfolgsfall kaum wieder hereingespielt werden kann. Denn gerade die Entwicklungsländer, die einen HIV-Impfstoff am dringendsten benötigen, sind am wenigsten in der Lage, diesen dann auch zu bezahlen.

Womit der Ball bei internationalen Organisationen liegt, und auch aufgenommen wurde. So hoben die G-8-Industriestaaten vor Jahresfrist auf Initiative von US-Präsident Bush das «Global HIV Vaccine Enterprise» aus der Taufe, das analog zum menschlichen Genom-Projekt die Führerschaft auf diesem Gebiet übernehmen soll. Bereits seit acht Jahren aktiv ist die «Internationale Aids Vakzin Initiative» IAVI, die – gesponsert von der Gates-Stiftung – die internationalen Forschungsaktivitäten koordiniert und unterstützt.

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