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Paläontologie

Die Insel der sieben Zwerge

Ein Skelettfund auf der indonesischen Insel Flores erregt Aufsehen

Wir modernen Menschen leben noch gar nicht so lange allein auf dem Planeten Erde. Vielmehr gabs da bis vor kurzem im indonesischen Inselreich entfernte Verwandte. Dies zumindest schliessen Anthropologen aus jüngsten Funden auf der Insel Flores. «Eine total verrückte Sache»: Peter Schmid, Anthropologe an der Universität Zürich, kann sich kaum fassen ob des Funds, den seine Kollegen auf der indonesischen Insel Flores gemacht haben. «Es ist fast nicht vorstellbar: Sie sieht auf den ersten Blick aus wie die berühmte «Lucy» (diese lebte vor drei Millionen Jahren in Afrika), war aber offensichtlich mit den intellektuellen Fähigkeiten eines modernen Menschen ausgestattet, das ist unglaublich.»

Doch beginnen wir von vorn. Normalerweise machen Anthropologen ja vor allem dann Schlagzeilen, wenn sie besonders alte Menschenknochen ausgraben. Nicht so im vorliegenden Fall. Denn das Skelett, über dessen Fund eine Gruppe australischer und indonesischer Wissenschaftler in der neuesten Ausgabe von «Nature» berichten, ist bloss 18 000 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich längst und flächendeckend der moderne Mensch Homo sapiens sapiens die Welt untertan gemacht, so wenigstens die bis jetzt gültige Lehrmeinung.

Doch der Fund zwingt zum Umdenken

Die sieben Zwerge. Höchstens einen Meter hoch dürfte das geheimnisvolle Wesen gestanden haben, das Hirnvolumen erreichte gerade mal 380 Kubikzentimeter (etwa ein Viertel des heutigen Menschen). Wars also ein Affe, der sich da in der Höhle Liang Bua auf der Insel Flores zur letzten Ruhe hingelegt hatte? Der anfängliche Verdacht verflüchtigte sich rasch. Denn der gut erhaltene Schädel und der Unterkiefer weisen in den Augen der Anthropologen klar menschliche Züge auf, auch Becken- Ober- und Unterschenkelknochen gehörten gemäss den Fachleuten eindeutig einmal einem Menschen, und zwar einem Exemplar weiblichen Geschlechts. Weitere Knochenteile und Zähne wurden gefunden, sodass die Forscher jetzt davon ausgehen, dass zeitweilig mindestens sieben Zwerge in der Höhle Unterschlupf gefunden haben.

Damit aber nicht genug: Nahe beim rätselhaften Skelett fanden sich auch Steinwerkzeuge, Pfeilspitzen und Faustkeile, welche die Archäologen zweifelsfrei der gleichen Zeit zuordnen konnten. Und jetzt stellen sich doch einige Fragen: Wie kam dieser alt aussehende moderne Mensch auf die Insel Flores? Wie konnte er sich so lange dort halten? Weshalb war er zwergwüchsig? Und wie war er überhaupt «trotz des geringen Hirnvolumens» intellektuell fähig, Werkzeuge herzustellen und mit diesen auch zu jagen?

Zwergelefanten und Drachen. Letzteres hatte er nämlich getan, der mittlerweile auf den Namen Homo floresiensis getaufte alt/junge Mensch. In der Höhle wurden nämlich neben den erwähnten Speer- und Pfeilspitzen auch angekohlte Knochen des inzwischen ebenfalls ausgestorbenen Zwergelefanten Stegodon gefunden. Die Zwergmenschen schätzten also Elefantenfleisch auf dem Menuplan, folgern sie Anthropologen. Und mussten wahrscheinlich ihrerseits aufpassen, nicht vom drei Meter langen Komodo-Drachen, gefressen zu werden, dem Riesen-Waran, der in der Liang Bua-Höhle ebenfalls seine Spuren hinterliess und als einziges Glied in dieser Nahrungskette bis heute überlebte. Eine Welt wie im Märchenbuch: Zwergmenschen, die Elefanten verspeisen und ihrerseits von Drachen gejagt werden. Und all dies keine 10 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung!

Energiesparer. So jung sind nämlich die letzten Spuren, die Homo floresiensis auf der Insel zurückgelassen hat, danach ist Schluss. Eine Vulkanexplosion setzte dem Inselleben ein Ende. Inzwischen konnten die Anthropologen die Geschichte von Homo floresiensis zumindest teilweise rekonstruieren. Die Spurensuche ergab, dass der Zwergmensch ursprünglich vom asiatischen Homo erectus abstammte und vermutlich vor etwa 800 000 Jahren auf Flores landete. Allein schon dies war eine Meisterleistung, setzte voraus, dass die Ahnen des Homo sapiens bereits nautische Kenntnisse hatten. Die äusseren Lebensumstände «vor allem das knappe Nahrungsangebot «begünstigten danach die Entwicklung hin zu geringeren Körpergrössen. «Das ist plausibel», findet auch Peter Schmid. «Allein durch die Verkleinerung des Gehirns liess sich so eine Menge Energie einsparen.» Verzwergung war offenbar eine Spezialität der Insel Flores, auch der Elefant musste sich dort nach der Decke strecken.

Eine Kusine. Müssen wir jetzt nach dem spektakulären Skelettfund die Entwicklungsgeschichte des modernen Menschen umschreiben? «Sicher nicht», findet Peter Schmid. Der Inselmensch sei allenfalls als entfernter Verwandter oder im konkreten Fall als Kusine zu betrachten. Kontrovers beurteilt wird von den Autoren des Nature-Artikels, ob Homo floresiensis und der moderne Mensch sich je begegneten. Immerhin liegt Flores zwischen dem asiatischen und dem australischen Kontinent, es sei also wahrscheinlich, dass Homo sapiens bei der Besiedlung Australiens vor etwa 50 000 Jahren auf Flores Station machte, schreibt der Australier Mike Morwood. Denkbar, aber nicht notwendig, meint dagegen sein Kollege und Mitautor Peter Brown. Denn schliesslich «führen viele Wege nach Australien».

Uns bleibt jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass sich parallel zum Homo sapiens sapiens offenbar andere intelligente Menschen-Spezies auf «unserem» Planeten» entwickelt und bis vor kurzem überlebt haben. Und dass der Stammbaum, dessen Gipfel die «Krone der Schöpfung» ziert, eher mit einem Busch zu vergleichen ist. Und dass es vielleicht bloss Zufall ist, dass der moderne Mensch gegenwärtig den dicksten Ast dieses Busches verkörpert.

Nature Vol 431, 28.10.2004

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