Chemiker werden zu Herren der Ringe
Sie wären das Schmuckstück eines jeden Skulpturengartens, die raffinierten räumlichen Gebilde, die heutzutage in vielen Chemielabors konstruiert werden. Was hübsch aussieht, könnte durchaus auch bald schon praktische Anwendung finden, etwa auf dem Gebiet der Nanotechnik. Artistische Gebilde zu bauen, Moleküle, die es in der Natur gar nicht gibt, hat Chemiker schon immer gereizt. Ist schon die Synthese einer Ringstruktur ein kleines Kunststück, brauchts dann den Meister, um verschiedene Ringe miteinander zu verknüpfen. Geschichte schrieb vor etwas mehr als 40 Jahren der Chemiker E. Wassermann, dem es in einem einzigen Syntheseschritt gelang, zwei ineinander verknüpfte Ringe herzustellen, so genannte Catenane.
Nun hat das Chemiker-Team um Kelly S. Chichak noch zugelegt. Die in Kalifornien tätigen Wissenschaftler sind in der Lage, aus 18 Ausgangsstoffen in einem Schritt so genannte borromäische Ringe zu bauen. Diese faszinierenden Konstrukte schmücken seit dem 14. Jahrhundert die Wappen italienischer Adelsgeschlechter, haben aber auch bereits die Wikinger in den Bann gezogen. Wer genau wissen will, wie den kalifornischen Chemikern das Meisterstück gelang, kann dies in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «Science» nachlesen.
Die Chemie-Skulpturen sind jedoch nicht bloss hübsch anzuschauen, sie könnten durchaus auch von Nutzen sein, etwa in der Nanotechnik. Dies schreibt der am Organischen Institut der Universität Zürich tätige Chemiker Jay S. Siegel in einem Kommentar in derselben «Science»-Ausgabe. «Denkbar ist, solche Ringe auf einem Stab aufzureihen, woraus sich so etwas wie ein Zählrahmen im Nano-Format ergäbe», erläutert Siegel. Auch die Konstruktion von Mehrweg-Schaltern im Molekül-Massstab sei dank dem neu erworbenen Chemiker-Wissen denkbar. «Das sind zwar noch Visionen», räumt Siegel ein. Doch sicher sei eines, dass Chemiker heutzutage ungefähr alles konstruieren können, was sich die Nano-Ingenieure so ausdenken.