Die Krankheit schon im Frühstadium zu erkennen
Ein Heilmittel gegen die Alzheimerkrankheit gibt es zwar noch immer nicht. Trotzdem finden die involvierten Ärzte es wichtig, die Krankheit schon im Frühstadium zu erkennen. Prof. Andreas Monsch, Neuropsychologe und Leiter der Memory Clinic am Basler Universitätsspital, erklärt weshalb. Und wie er es macht. 18 Millionen Menschen leiden weltweit an der nach dem deutschen Arzt Alois Alzheimer benannten Demenz-Erkrankung, und es werden immer mehr. Allein in der Schweiz sind schätzungsweise 90 000 Patienten und deren Angehörige von Demenz betroffen. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache, der irreversible Verlust intellektueller Fähigkeiten und Persönlichkeitsveränderungen sind die typischen Symptome. Verursacht werden diese durch krankhafte Veränderungen der Grosshirnrinde. Bei verstorbenen Alzheimerpatienten können dort Ablagerungen von Proteinen gefunden werden, die nicht dorthin gehören: Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen legen diejenigen Hirnregionen lahm, wo im Normalfall gedacht wird.
Die Ursache der Alzheimer Krankheit kennt bis heute niemand. Kein Wunder denn, dass gegen die dagegen noch kein Kraut gewachsen ist. Zwar scheint eine bestimmte Medikamentenklasse, so genannten Cholinesterase-Hemmer, die Funktionsfähigkeit der betroffenen Hirnregionen eine Zeitlang aufrecht erhalten zu können. Dies wird aber neuerdings wieder angezweifelt (wir werden an dieser Stelle auf die Kontroverse zurückkommen).
Wenn also keine Heilungschancen bestehen, weshalb legen dann die Fachleute derart grossen Wert auf Früherkennung, dass sogar der Alzheimertag 2004 unters Motto «Keine Zeit zu verlieren» gestellt wurde? Andreas Monsch lieferte kürzlich am zweiten Basler Neurowissenschafts-Symposium die Begründung. Für den Fall, dass (hoffentlich bald) ein Impfstoff oder ein Medikament gefunden wird, das die Krankheit in der Anfangsphase stoppen kann, «müssen wir doch wissen, wer unsere Patienten sind und wie die Frühsymptome aussehen. Nur so haben wir die Möglichkeit, die wahrscheinlich teure Behandlung gezielt jenen Menschen zur Verfügung zu stellen, die sie tatsächlich auch brauchen.»
Die Basler Studie, die seit 1959 den Gesundheitszustand von anfänglich 6500 Werktätigen in der Region Basel protokolliert und sich seit 1997 dem Studium des Gehirns zugewendet hat, habe gezeigt: Wichtig ist, nicht bloss eine Momentaufnahme, sondern den Verlauf eines vielleicht stattfindenden Abbauprozesses aufzuzeigen. «Deshalb wiederholen wir die Tests alle zwei Jahre und vergleichen die Resultate.» Interessant ist auch, dass besser ausgebildete Menschen erst später im Krankheitsverlauf an kognitiven Defiziten leiden und dadurch erst später auffallen. «Wie bei einem Achtzylinder-Motor: Da ist der Ausfall eines Zylinders weniger gravierend als bei einer Vierzylinder-Maschine.»
Doch ab welchem Alter soll man Ausschau halten nach frühen Alzheimer-Symptomen? Und was gilt überhaupt als normal und gesund? «Bei einem allgemeinen Check sollte der Arzt seine Schützlinge nicht bloss auf Herz und Nieren prüfen, sondern spätestens ab Alter 60 daran denken, dass auch das Gehirn erkranken kann.» Stösst der Hausarzt, etwa auch nach dem Gespräch mit Angehörigen, auf Ungereimtes, ist eine gründlichere Untersuchung in der Memory Clinic angezeigt – und sei es nur, um keine unbegründeten Ängste aufkommen zu lassen.
Bei den Untersuchungen in der Memory Clinic wird von der Beobachtung ausgegangen, dass die Schläfenlappen (Temporallappen) des Gehirns bei Alzheimer als erstes betroffen sind. Dort aber ist im allgemeinen das episodische Gedächtnis untergebracht. Mit raffinierten Tests kann man nun herausfinden, ob und wie gut diese Gedächtnisleistung, bei der es grob gesagt um die Speicherung von persönlich erlebten Episoden geht, noch funktioniert.
Zum Beispiel: Es wird eine Einkaufsliste mit 16 Posten präsentiert und nach einiger Zeit geprüft, ob der Proband diese repetieren kann. «Dabei schauen wir darauf, ob die Liste logisch memoriert wurde – etwa geordnet nach Getränken, Kleidungsstücken usw. – oder ob bloss die zuletzt genannten Objekte hängen geblieben sind. So erhalten wir nicht bloss quantitative, sondern auch qualitative Aussagen über die Funktionstüchtigkeit der Temporallappen», so Andreas Monsch.
Analog testet man die Fähigkeit zu planen, indem der Proband oder die Probandin aufgefordert wird, eine gezeigte Vorlage aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen. Je nach dem, ob mit den Details begonnen wird oder ob ein planerisches Konzept ersichtlich ist, lässt sich ermessen, wie gut die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Hirnregionen noch funktioniert. «Wir schauen also nicht bloss aufs Resultat, sondern auch darauf, wie dieses zustande kam», so Prof. Monsch.
Doch womit vergleicht man die Resultate, was gilt als gesund und normal? Andreas Monsch: «Als Vergleichsbasis gehen wir vom Optimalzustand aus, also einem – gemessen am Alter der Probanden – Zustand ohne Beeinträchtigungen.» Und der ist glücklicherweise auch im älteren Bevölkerungssegment doch recht häufig die Realität.