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Medizin

Alzheimer: Arzneien teuer – aber nichts wert?

Zur Kontroverse um Preise und Wirksamkeit

Mit den Schlagzeilen «Vergessen Sie diese Medikamente» und «Alzheimer-Medikamente nützen kaum etwas» hatte der «Pulstipp» in seiner September-Ausgabe rechtzeitig zum Alzheimertag Patienten und Hausärzte gleichermassen verschreckt. Zu Unrecht, meint der Basler Geriatrieprofessor Hannes B. Stähelin. «Ich finde es zynisch, Alzheimerpatienten ein Medikament – und sei dessen Wirkung noch so bescheiden – vorzuenthalten. Denn selbst kleinste Verbesserungen können für sie und ihre Angehörige eine grosse Erleichterung bringen.» Hannes B. Stähelin hält nicht eben viel von der Kontroverse, die um die Wirksamkeit der heute verfügbaren Alzheimer-Medikamente entbrannt ist. Er ist Professor für Geriatrie am Basler Universitätsspital und betreut seit Jahrzehnten an Demenz erkrankte Menschen.

Die Rede ist von Arzneien, die zwar die Alzheimerkrankheit nicht heilen, die Schädigungen in der Grosshirnrinde nicht rückgängig machen können, aber zumindest die noch vorhandene Hirnaktivität über einige Zeit aufrechterhalten helfen. Unter dem Begriff «Cholinesterasehemmer» werden die drei auf dem Markt erhältlichen Medikamente Aricept, Reminyl und Exelon* zusammengefasst, drei unterschiedliche chemische Substanzen, die aber denselben Wirkmechanismus haben, indem sie die Verfügbarkeit des Nervenbotenstoffes Acetylcholin verbessern. Damit wird – so ist sich zumindest die Mehrzahl der Geriater in aller Welt einig – der geistige Abbau bei Alzheimerpatienten vorübergehend gestoppt, und die Einweisung ins Pflegeheim lässt sich um bis zu zwölf Monate hinauszögern.

Eben letzteres bestreitet eine Studie, die vergangenen Sommer** in Grossbritanniens renommiertem Fachblatt «Lancet» publiziert worden ist. Die Autoren berichteten dort über ihre Erfahrungen, die sie mit 566 Alzheimerpatienten gemacht hatten. Denen war während dreier Jahre entweder der Cholinesterasehemmer Aricept oder ein Placebo verabreicht worden, eine pharmakologisch wirkungslose Substanz. Aus den erhaltenen Resultaten schlossen die britischen Untersucher, dass sich zwar die geistigen Fähigkeiten der behandelten Probanden tatsächlich nicht weiter verschlechtert hatten, dass dies jedoch (unter der gegebenen Versuchsanordnung) keinen Einfluss hatte auf den Zeitpunkt der Klinikeinweisung.

Noch eins drauf gaben Forscher vom Hamburger Institut für Allgemeinmedizin. Die Tatsache, dass deutsche Ärzte allein im Jahre 2001 ihren Alzheimerkranken 14 Mal häufiger das Naturheilmittel Ginkgo Biloba verschrieben als Cholinesterasehemmer, hatte sie stutzig gemacht. Das könnte unter anderem daran liegen, dass Ärzte selber nicht an den Nutzen dieser Medikamente glauben, vermuteten sie. Sie nahmen zehn Studien, in denen die Wirksamkeit von Aricept untersucht wurde, nochmals unter die Lupe. Und kamen zum Schluss, dass alle zehn (darunter übrigens auch die in «Lancet» publizierte Arbeit) mit schwerwiegenden methodischen Mängeln behaftet seien. Daher sei der wissenchaftliche Nachweis, dass Aricept tatsächlich wirke, noch zu erbringen***.

Das sieht Hannes B.Stähelin ganz anders. «Eine einzelne Studie kann nicht jahrelange, an Tausenden Patienten gemachte Erfahrungen zur Makulatur machen», meint er im Gespräch. Zudem könne man nicht von den Aricept-Studien auf die übrigen Cholinesterasehemmer rückschliessen. «Ich habe im Laufe der Jahre kleine Wunder erlebt mit Alzheimerpatienten, die dank den Medikamenten wieder selber essen können und es auch mit der Reinlichkeit wieder genauer nehmen. Das sind positive Effekte, die das Leben der Betroffenen und deren Angehörigen sowie des Heimpersonals ungeheuer erleichtern können.» Und auch die Kosten von etwa 2000 Franken pro Jahr rechtfertigten: «So viel kostet schon ein zehntägiger Aufenthalt im Pflegeheim.»

Bei alledem sei das Wunder aber tatsächlich ein kleines: «Man muss sich bewusst sein, dass der Mangel an Botenstoff im Gehirn erst ganz am Schluss der Krankheits-Kaskade steht, nachdem über Jahre hin schon Vieles beschädigt wurde im Gehirn.» Die kontroverse Beurteilung der Wirksamkeit von Cholinesteraseblockern erklärt sich Hannes B. Stähelin unter anderem damit, «dass man den Behandlungserfolg eben nicht so leicht messen kann wie etwa bei einem Blutdrucksenker». Vielmehr benötige eine Analyse der noch vorhandenen kognitiven Fähigkeiten bei Demenzkranken stundenlange Untersuchungen und müssten erst noch regelmässig wiederholt werden, damit eine Veränderung festgehalten werden kann.

Einen Durchbruch in der Behandlung von Alzheimerkranken sieht Hannes B. Stähelin nicht am Horizont. Es werde mindestens noch zehn Jahre dauern, bis zum Beispiel ein passiver Impfstoff zur Verfügung stehen wird, meint er etwa. Damit könnten einmal so wird gehofft die Amyloid-Fragmente, die Vorläufer-Moleküle, die zu den schädlichen Ablagerungen in der Grosshirnrinde führen, unschädlich gemacht werden, bevor es zu spät ist. Bis dahin gelte es, auf den bewährten drei Schienen fortzufahren: Prävention (gesunde Ernährung und genügend Bewegung), Früherkennung und Optimierung des Einsatzes der heute verfügbaren Medikamente.

* Hersteller: Pfizer, Janssen-Cilag, Novartis
** The Lancet, Vol 363, June 26 (2004)
*** Fortschr. Neurol. Psychiat. 2004; 72: 1-7

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